Zugeständnisse dämpfen EU-Sanktionen

Erst hat Ungarn dem Ölembargo nicht zugestimmt, diesmal waren es die Sanktionen gegen das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, Patriarch Kirill, die Budapest offenbar daran gehindert haben, das sechste Sanktionspaket zu akzeptieren. Tagsüber gab es Berichte in alle Richtungen, einmal willigte Ungarn ein, einmal mischte sich Ungarn ein. Schließlich lenkten die restlichen EU-Staaten ein: Der Patriarch wurde aus dem Sanktionspaket gestrichen. Fehlt nur noch die letzte Unterschrift der EU-Botschafter; dies soll am Freitag folgen, einen Monat nachdem das Paket angekündigt wurde.

Nach dem Sondergipfel der EU-Staats- und Regierungschefs Anfang dieser Woche schien es, als hätte die Union ihr Gesicht wieder wahren können. Doch mit dem, was EU-Expertin Sophie Pornschlegel vom European Policy Center (EPC) als „wässriges“ Paket bezeichnet hat, einem langen Warten auf eine Einigung und einem weiteren Zugeständnis in Budapest, sieht es nach dem sechsten Sanktionspaket in Budapest aus, was Strafmaßnahmen betrifft . Ende des Weges für die EU.

Die Ukraine wartet auf ein weiteres Paket

Die Ukraine drängt bereits auf neue Sanktionen: Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte nach der – angeblichen – Einigung der EU-Staaten Anfang dieser Woche: „Letztendlich soll es keine nennenswerte wirtschaftliche Verbindung mehr zwischen der freien Welt und dem Terrorstaat geben.“ Ein siebtes Paket wird wie von der Ukraine gewünscht eintreffen, sobald das sechste implementiert ist.

AP / Olivier Matthys Orban (links), hier im Gespräch mit der finnischen Premierministerin Sanna Marin, testet die Geduld der EU

Die Ablehnung des Gasembargos könnte Sanktionen bremsen

Im Raum gibt es natürlich die größte Distanzierung der russischen Energie, was wahrscheinlich unvermeidlich bedeutet: Gasembargo. „Das war kein Problem“, sagte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) während des Gipfels. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) lehnte dies im Vorfeld ab. Sollte die Einigung auf das sechste Paket mehr als schwierig werden, würde ein Berliner Veto die Hoffnung auf ein siebtes Paket drastisch schmälern.

„Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass es ein volles siebtes Sanktionspaket geben wird“, sagte Pornschlegel auf erneute Nachfrage von ORF.at. Für sie sei es “wahrscheinlicher”, dass es “Ergänzungen” gebe, etwa eine Erweiterung der Liste der Einreiseverbote für Menschen in Russland und für bestimmte Industriezweige.

Experte: Sanktionen stoppen den Krieg nicht

Gleichzeitig stellte er die Wirksamkeit der neuen Maßnahmen in Frage. “In der Geschichte haben Sanktionen selten einen Krieg gestoppt”, sagt Pornschlegel. Ziel sei es, Russland wirtschaftlich zu schaden, “und solange es kein Gasembargo gibt, ist das nur begrenzt der Fall.” Das weitere Vorgehen der EU werde maßgeblich vom Kriegsverlauf abhängen, “sowie vom politischen Willen der 27 Mitgliedsstaaten”. Deutschlands Zögern könnte jedenfalls ein schnelles Vordringen verhindern.

Analyse von Brüssel und Budapest

ORF-Korrespondent Robert Zikmund berichtet aus Brüssel und spricht über die Folgen der Blockade Ungarns durch das Ölembargo gegen Russland. ORF-Korrespondent Ernst Gelegs berichtet aus Budapest, welche Änderungen der ungarische Ministerpräsident im EU-Sanktionspaket fordert.

Bei den aktuellen Bestrebungen, neue Sanktionen einzuführen, bleibt von der überraschend schnellen Anfangsaktion der EU nicht mehr viel übrig. Pornschlegel befürchtet, dass eine erneute „Normalisierung“ der Lage Entscheidungsträgern in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik „weniger bewusst machen könnte, dass die EU ambitioniert vorangetrieben werden muss“.

Einstimmigkeit als Stolperstein

„Das Risiko des Status quo langsamer Entscheidungsfindung ist größer als das der Fragmentierung. Darauf zu warten, dass alle Länder zusammenkommen (…) ist nicht die richtige Strategie, wenn es darum geht, einen Krieg an unseren Grenzen zu führen“, heißt es in einem Artikel der EPC-Denkfabrik. Bereits nach dem Sondergipfel wurde die Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips von den Mitgliedsländern stark gefordert. Die erneute Aufregung über die Bedenken Ungarns könnte diese Debatte weiter anheizen.

Doch während dies eine langfristige Anstrengung sein könnte, steht Ungarn bereits unter Druck: Anders als in der Vergangenheit ist Orban dieses Mal ziemlich einsam. Polen, das EU-Plänen oft skeptisch gegenüberstand und dessen umstrittene Justizreform sogar zu einem heftigen Konflikt mit der Kommission geführt hat, befindet sich durch den Krieg in einer ganz anderen Situation.

Denn seit Kriegsbeginn sind mehr als 3,5 Millionen ukrainische Flüchtlinge in Polen angekommen. Die Hilfsbereitschaft Polens wurde von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen stets positiv hervorgehoben und Sanktionen nicht entgegengehalten. Am Mittwoch machte die EU in Warschau Zugeständnisse und gab grünes Licht für die seit Monaten blockierten CoV-Milliardenhilfen.

Ungarn allein auf dem Land

Dies hätte auch ein Signal an Ungarn sein können. Nicht zuletzt hielten sich auch die anderen Visegrad-Staaten in den vergangenen Wochen eher von Ungarn fern. Umso mehr, als Orban vergangene Woche per Notstandsdekret seine Regierung plötzlich erweiterte, was er seit Jahren tat: Nach den Flüchtlingen und der Pandemie ist der Krieg in der Ukraine nun der Vorwand, um demokratische Regeln massiv auszuhöhlen und den Umbau voranzutreiben. zu einer illiberalen “Demokratie”.

MdEP Zdechovsky: Die Beziehungen zu Ungarn sind nicht mehr so ​​gut

In einem Interview mit der Brüsseler Korrespondentin Raffaela Schaidreiter sagt der tschechische Europaabgeordnete Tomas Zdechovsky von der Europäischen Volkspartei, dass die Beziehungen zwischen Prag und Ungarn gelitten haben. Laut Zdechovsky hat “niemand” in den Visegrad-Staaten so gute Beziehungen zu Russlands Präsident Wladimir Putin wie Ungarn.

Angesichts des Streits um das Sanktionspaket ist dieser neue Affront gegen Europa und die Verletzung europäischer Grundprinzipien fast verschwunden. Brüssel scheint derzeit am kurzen Ende der Post zu sein. Die Frage ist, ob Orban dem wachsenden Druck standhalten kann, wie es auf die neuen Sanktionen – oder zumindest die Aufhebung der erwirkten Ausnahmen – reagieren wird und ob die EU noch weitere Zusagen erwägt.

Denn es wird ihr sehr wichtig sein, weitere Sanktionen einzuführen, auch wenn ein neues Paket derzeit noch in weiter Ferne scheint. Der wichtigste Hebel ist der übliche: Geld. Denn ohne die milliardenschwere Hilfe aus Brüssel sind Kritiker der EU-Zurückhaltung bei Budapest schon lange davon überzeugt, dass Orban landesweit wohl längst stärkerem Wind ausgesetzt gewesen wäre.

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